Skip to main content

Welcome

„Das Wesen des Judentums“ - Leo Baeck zum 150. Geburtstag

Liebe Schwestern und Brüder,
Liebe Freunde der Loge,

aus Anlass des 150. Geburtstags des letzten Großpräsidenten des VIII. Distrikts des Unabhängigen Ordens B’nai B’rith am Mittwoch, den 24. Mai 2023, hat unser Logenbruder und ehemaliger Präsident der ehrwürdigen Augustin-Keller Loge aus Zürich, Br. Ex-Pr. Martin Dreyfus diesen Artikel für die letzte Ausgabe der tachles verfasst, die wir gerne mit Ihnen/ Euch teilen möchten.

Br. Großpräsident Rabbiner Dr. Baeck war maßgeblich an der Gründung der ersten B’nai B’rith Loge nach dem Krieg in Kontinental Europa im Jahr 1954 in Basel beteiligt. Ihr erster Vorsitzender wurde Br. Ex.-Pr. Dr. Egon Guggenheim aus Zürich. Leo Baeck konnte sich eine Rückkehr von jüdischen Menschen nach Deutschland und gar die Wiedergründung einer Loge damals nicht vorstellen. Wenn man sich anschaut, was sich heutzutage wieder bei uns abspielt und was er und so viele andere in den schlimmen Zeiten erleben mussten, dann stellt man fest, dass die meisten Menschen nichts gelernt haben.

Möge er in Frieden ruhen!
Mit herzlichen Grüßen,
Ralph Hofmann


Am 24. Mai dieses Jahres gilt es, dem 150. Geburtstag der wohl bedeutendsten Persönlichkeit des (deutschen) liberalen Judentums, des 20. Jahrhunderts und weit darüber hinaus - Rabbiner Leo Baeck zu gedenken. Auch wenn sich die Ausrichtungen liberalen Judentums vor allem etwa in Amerika - aber auch in vielen anderen Ländern - über das - von Rabbiner Samson Raphael Hirsch geprägte - deutsche liberale Judentum weiter bzw, „hinaus“ entwickelt haben, wäre und ist Judentum liberaler Richtung ohne die ebenso prägende Persönlichkeit Rabbiner Leo Baecks kaum denkbar.

Leo Baeck wurde als Sohn von Rabbiner Samuel Baeck und dessen Frau Eva - deren Vater Oberrabbiner von Mähren war - in Lissa in Posen geboren, wo er mit vier Schwestern aufwuchs. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Lissa nahm er 1891 zunächst ein Studium am jüdisch-theologischen Seminar in Breslau auf, wo er parallel Vorlesungen an der dortigen Universität belegte.

1893 wechselte er an die Königliche Friedrich-Wilhelm-Universität und an die Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin wo er Philosophie, Geschichte und Religionsphilosophie studierte und 1895 beim Theologen und Philosophen Wilhelm Dilthey mit einer Dissertation über Spinoza promovierte.

Nach dem Rabbinatsexamen an der Lehranstalt und der Ordination zum Rabbiner erhielt Baeck noch im gleichen Jahre eine erste Stelle als Rabbiner in Oppeln, wo er bereits die Arbeit an seinem Buch über „Das Wesen des Judentums“ aufnahm. 1899 heiratet Baeck Nathalie Hamburger - ihrerseits Enkelin eines Rabbiners.

In den folgenden Jahren entstand sein Werk „Das Wesen des Judentums“, das ihn nach erscheinen im Jahre 1905 zu einem der bekanntesten Repräsentanten des deutschen Judentums werden lies, in welcher Schrift er sich gegen die Darstellung des Judentums als veraltete „Gesetztesreligion“ und kritisch zu den Thesen des Theologen Adolf von Harnack äussert.

Nach fünf Jahren als Rabbiner in Düsseldorf zwischen 1907 und 1912 erhielt Baeck einen Ruf nach Berlin. Dort war er ab 1913, bis zu deren Schliessung durch das Regime im Sommer 1942 auch als Dozent an seiner „Alma Mater“ der Hochschule für die Wissen-schaft des Judentums tätig (und wo der vielen Menschen in Erinnerung stehende Ernst Ludwig Ehrlich bis 1942 einer seiner letzten Schüler war).

Nachdem Leo Back im (ersten) Weltkrieg von 1914 bis 1918 als Feldrabbiner aktiv war, avancierte er in der Zeit nach dem Krieg in der „Republik von Weimar“ zunehmend zum führenden Vertreter des liberalen Judentums in Deutschland. 1922 wurde er Vorsitzender des „Allgemeinen Rabbinerverbandes in Deutschland.

Von 1924 bis zu deren Verbot bzw. Aufhebung 1937 war er zudem Gross-Präsident der B’nai B’rith Logen in Deutschland, in welchem Verbund in der Zwischenkriegszeit über 100 B’nai B’rith Logen in Deutschland zusammengeschlossen waren. Zugleich amtierte Leo Baeck als Präsident der Gross-Loge ex officio auch als Vorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. 1924 war er Mitbegründer der „World Union for Progressive Judaism“ deren Präsident er 1938 wurde.

Nachdem sich Leo Baeck bereits 1898 anlässlich einer Tagung des Rabbinerverbandes gegen eine Verurteilung des Zionismus gewendet hatte, wird er in den 1920er Jahren auch in diesem Bereich aktiv. 1926 tritt er u.a. zusammen mit Albert Einstein dem Pro-Palästina-Komitee bei und wird 1929 Mitglied im Präsidium des Keren Ha-jessod, Deutschland, wo er noch im gleichen Jahre als Delegierter an der Versammlung der Jewish Agency in Zürich teilnimmt.

Dass Leo Baeck, nachdem die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten, bereits 1933 Präsident der Reichsvertretung der Deutschen Juden (später Reichsvereinigung der Juden in Deutschland) und damit „oberster Repräsentant“ der zunehmend entrechteten Juden wurdem erschien nur folgerichtig.

In diesen Jahren zunehmender Entrechtung und Verfolgung setze sich Baeck neben der Unterstützung der Auswanderungsbemühungen vor allem für humanitäre Hilfe und insbesondere für den Erhalt der Bildungsmöglichkeiten für die verbleibende jüdische Bevölkerung und für die Errichtung jüdischer Bildungseinrichtungen für die zunehmend von den öffentlichen Schulen ausgeschlossenen Schülerinnen und Schüler ein. 1937 stirbt seine Frau.

1938 wird er - in der Nachfolge des verstorbenen Claudio Montefiore - Präsident der World Union for Progressive Judaism. Im gleichen Jahr gelangen seine Enkeltochter, wenige Wochen später seine 1900 geborene Tochter Ruth und deren Mann nach London. In diesem Jahr begleitete Leo Baeck eine Auswanderergruppe jüdischer Kinder nach England, von wo er nach Deutschland zurückkehrt.

Darin Janusz Korczak „vergleichbar“ lehnte er mehrfache Angebote und Möglichkeiten zur Emigration ab. Noch im März 1942 beauftragte die Gestapo Leo Baeck mit einer Studie zur „Rechtsstellung der Juden in Europa“. Ende Januar 1943 wurde Leo Baeck nach Theresienstadt deportiert, die Reichsvereinigung im Juni 1943 von den Nationalsozialisten aufgelöst.

In Theresienstadt engagierte sich Baeck zusammen mit anderen „Prominenten“ wie Rabbinerin Regina Jonas oder Viktor Frankl für die Belange der Häftlinge. Auch hier war ihm die Bildung ein grosses Anliegen und er initiierte und hielt selber regelmässige Vorträge zu philosophischen wie „jüdischen“ und geschichtlichen Themen.

Im Gegensatz zu drei seiner vier ebenfalls nach Theresienstadt deportierten Schwestern überlebte Leo Baeck und gelangte Anfang Juli 1945 nach London. Er wird Präsident des Council of Jews from Germany, ein Amt, das er bis zu seinem Tod 1956 innehaben wird.

In London nahm er u.a. auch seine Tätigkeit als Präsident der „World Union for Progressi-ve Judaism“ wieder auf, eine Aufgabe die er bis 1955 weiterführte. 1947 gründete er in London das „Institut zur Erforschung des Judentums in Deutschland“, das heute nach ihm benannte Leo Baeck Institut Daneben wirkte er als Dozent bis 1953 am Hebrew Union College in Cincinatti. In diesen Jahren entwickelte Leo Baeck auch eine ausgedehnte Reise- und Vortragstätigkeit, die ihn u.a. in die USA - wo er 1948 u.a. mit Präsident Harry Truman zusammentrifft und eine Sitzung des Repräsentantenhauses mit einem Gebet eröffnet - nach Palästina/Israel (das er bereits 1935 besucht hatte) aber auch nach Deutschland führte. Leo Beack starb am 2. November 1956 in London.

Mehrere Biographien geben eindrücklich Zeugnis von Leben und Wirken von Rabbiner Leo Baeck. Darunter findet sich etwa die Biographie seines in gewisser Weise „intellektuellen“ Nachfolgers Albert H. Friedlander - nach Emigration zunächst nach Kuba, später in die USA - Rabbiner in Grossbritannien - „Leo Baeck, Leben und Lehre“ (1973). Friedlander war zugleich Mitherausgeber einer Werkausgabe der Schriften von Leo Baeck. Jüngst erschien von Michael A. Meyer „Leo Baeck. Rabbiner in bedrängter Zeit. Eine Biographie“ (2021).

Neben dem erwähnten Buch „Das Wesen des Judentums“, das als sein (frühes) Haupt-werk angesehen wird, hat Leo Baeck zahlreiche Werke zur jüdischen religiösen Erziehung ebenso wie zu bedeutenden Persönlichkeiten wie Chaim Nachman Bialik, dem er 1935 eine „Einführung in Leben und Werk“ widmete oder „Maimonides, der Mann, sein Werk und seine Wirkung“ (1954) hinterlassen. Darüber hinaus dürfen wohl seine beiden Bände über „Dieses Volk. Jüdische Existenz“ von 1955 und (postum) 1957 als eine Art Vermächtnis und Quintessenz seines Lebens und Wirkens angesehen und gelesen werden.

Bis heute erinnern zahlreiche Institutionen wie das Leo Baeck Zentrum in Haifa, die Leo Baeck Institute in New York, London und Jerusalem, das 1956 für die Ausbildung liberaler Rabbiner in London ins Leben gerufen Leo Baeck College oder der vom Zentralrat der Juden in Deutschland vergeben Leo Baeck Preis an die überragende Persönlichkeit und das Wirken von Leo Baeck.